Liebe Leserin, lieber Leser,

Dietrich Scholle und Dr. Martin Führing sind seit Jahren Bewohner des Kreuzviertels. Beide haben sich zum Thema gemacht, die Stolpersteine ihres Wohnumfeldes in einem Aufsatz mit vielfältigen Hintergrundinformationen zu dokumentieren.

 

Gerade in der jetzigen Zeit ist es wichtig, an das Unrecht an unseren Mitbürgerinnen und Mitbürgern zu erinnern und die Erinnerung daran wachzuhalten. Es waren vor allem Menschen jüdischer Herkunft und jüdischen Glaubens, Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Sinti und Roma, politische und weltanschauliche Gegner des Nationalsozialismus, aber auch psychisch Kranke und körperlich eingeschränkte Menschen sowie Homosexuelle, die dem verbrecherischen Nazi-Regime zum Opfer fielen.

 

Um einen kleinen Beitrag zur Erinnerung an die Opfer der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft in unserer unmittelbaren Umgebung zu leisten, unternimmt der Ortsverein Münster-Nord der SPD jedes Jahr einen Rundgang durch das Kreuzviertel, bei dem die Stolpersteine gereinigt werden. Das Unrecht muss sichtbar bleiben!


Über Stolpersteine

Die Stolperstein-Idee

Der Kölner Künstler Gunter Demnig (geb. 1947 in Berlin) erinnert mit den Stolpersteinen an die Opfer der NS-Zeit, indem er vor ihrem letzten selbstgewählten Wohnort Gedenktafeln aus Messing in den Gehweg einlässt. "Ein Mensch ist erst vergessen, wenn sein Name vergessen ist", so das Motto des Künstlers. Seit 1992 beschäftigte sich Demnig mit der NS-Verfolgung und suchte bei Nachbarn, Verwandten und in Archiven nach den "Wohnräumen" von Opfern. 1993 erfolgte der Entwurf zum Projekt Stolpersteine; 1995 eine probeweise Verlegung der ersten Stolpersteine in Köln. Für  Demnig ist das Stolperstein-Projekt in Deutschland (seit 1995) und Europa (seit 2006) zum Lebenswerk geworden. Im Münsterland werden die Erinnerungssteine seit Januar 2004 verlegt. Die Gesamtzahl der verlegten Stolpersteine liegt inzwischen bei 100.000.

https://www.stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/erinnern-nach-2000/projekt-stolpersteine.html


In Münster wird die Verlegung der Stolpersteine seit Anfang 2004 begleitet durch den Verein „Spuren finden“ (http://www.muenster.org/spurenfinden/index.html - Vorsitzender  Peter Schilling). Bisher wurden über 290 Stolpersteine verlegt.


Zu den durch die Stolpersteine erinnerten Opfern des Nationalsozialismus liegt in der Villa ten Hompel ein Gedenkbuch aus ( http://www.muenster.org/spurenfinden/gedenkbuch/index.php ).
Eine Internetseite des WDR ( https://stolpersteine.wdr.de/web/de/ ) und eine App des WDR (Stolpersteine NRW. Gegen das Vergessen) haben für NRW inzwischen über 17.000 Stolpersteine kartiert und informieren über jedes einzelne Schicksal der durch die Stolpersteine erinnerten Opfer des Nationalsozialismus.  

Das nationalsozialistische Programm der Judenverfolgung und -vernichtung

Mit der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten am 30.01.1933 begann der Prozess der Verdrängung der jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürger aus dem öffentlichen und wirtschaftlichen Leben sowie den staatlichen Institutionen. Dieser Prozess wurde schrittweise weiter getrieben bis zur physischen Vernichtung:

  • „Judenboykott“, Boykott jüdischer Geschäfte am 01.04. 1933
  • Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, 07.04.1933
    (Entfernung Menschen jüdischer Herkunft und politisch unerwünschter Personen aus dem Staatsdienst) verschärfte Anwendung der sog. Reichsfluchtsteuer insb. seit 1934
  • Nürnberger Gesetze, 15. September 1935
    (Degradierung jüdischer Bürgerinnen und Bürger zu Menschen niederen Rechts. Aufhebung der seit 1871 gesetzlich garantierten Gleichstellung)
  • Pogromnacht 09./10.11.1938
  • Vermögensabgaben und Ausschaltung aus dem Wirtschaftsleben
    - Verordnung über die Anmeldung des Vermögens der Juden 26.04.1938
    - Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben 12.11.1938
    - Verordnung über den Einsatz des jüdischen Vermögens 03.12.1938
  • Überfall auf Polen 01.09.1939
  • „Gesetz über die Mietverhältnisse der Juden“ vom 30.04.1939
    (Ziel war die Isolation der jüdischen Bevölkerung durch Umsiedlung, z.B. durch Zwangsumzug in sog. „Judenhäuser)
  • Überfall auf die Sowjetunion 22.06.1941
  • Verschärfung der Diskriminierungen und Ausgrenzungen ab 1941
    (z.B. Einführung des „Judensterns“ ab 19.09.1941)
  • Auswanderungsverbot Okt. 1941
  • Beginn der Deportationen und der systematischen Vernichtung
  • Wannsee-Konferenz (20.01.1942) und „Endlösung“

„Judenhäuser“ - Vorstufe und Vorbereitung der Deportation

Im Sommer und Herbst 1939, kaum ein Jahr nach der Reichspogromnacht vom 09./10. November 1938, wurden in Münster 14 kleine Ghettos oder auch "Judenhäuser" eingerichtet, in der Nähe des Kreuzviertels z.B. Breul 15 und Jüdefelder Str. 14. Basis dafür war das NS-Mietgesetz von 30.04.1939, das die Zusammenlegung von Juden in sogenannten Judenhäusern vorschrieb, um Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden zu unterbinden.


Diese Form der Ghettoisierung der Juden stellte eine gezielte Vorbereitung der Juden-Deportationen dar.


Das Einwohnerbuch 1941/42, Straßenverzeichnis, S. 204, verzeichnet einige der bisherigen jüdischen Bewohner des Kreuzviertels als Bewohner des „Judenhauses“ Salzstr. 31:
Kutner, Max, Israel; Scheu(r)er, Hermann, Israel; Strauß, Otto, Israel; Waldeck, Karl, Israel.
Das letzte „Judenhaus“ befand sich 1942 Am Kanonengraben 4 und beherbergte 77 jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger, darunter sieben Kinder. Es war ein Haus der seit 1825 bestehenden jüdischen Marks-Haindorf-Stiftung und diente nach dem Ende der NS-Herrschaft und des 2. Weltkrieges vorübergehend als Synagoge der jüdischen Gemeinde.

 

Die Deportationen nach Riga

Am 13.12.1941 kam es zur ersten Deportation von 103 Juden aus Münster und dem Münsterland nach Riga. Die Namen sind in der Liste der Staatspolizeileitstelle Münster vom 10.12.1941 erfasst.  (Stadtarchiv Fach 36 Nr. 18f)  


Durch diese erste Deportation verringerte sich die Zahl der In Münster registrierten Juden nach Angaben dieser Polizeidienststelle von 490 auf 390.


Die in der Deportationsliste erfassten Juden aus Münster und dem Umland wurden per Bahn, mit Bussen und Lastwagen zur Sammelstelle in die Münstersche Gastwirtschaft Gertrudenhof (Warendorfer Straße/Ecke Hohenzollernring) gebracht.


Am 13. Dezember 1941 wurden sie als der erste Transport aus Westfalen in das Ghetto Riga deportiert. Weitere Deportationen folgten am 27.01.1942 nach Riga, am 31.03.1942 nach Warschau und zuletzt am 31.7.1942 nach Theresienstadt.
https://www.stadt-muenster.de/archiv/archivalien-digital/juedische-geschichte
https://2021jimsl-spurensuche-n.de/riga-deportationsort-des-muensterlande/


Das Ghetto Riga war im August 1941 in der von deutschen Truppen eroberten lettischen Hauptstadt eingerichtet worden. Nach der Ermordung der dort konzentrierten lettischen Juden wurden seit Dezember 1941 unter anderem die ersten circa 1000 Juden aus Westfalen, u.a. aus Münster, dorthin deportiert. Im Dezember 1943 erfolgte die Auflösung dieses Gettos, nachdem die dorthin deportierten Juden entweder dort umgebracht worden waren oder in Konzentrationslager, u.a. auch in der Nähe von Riga, verbracht worden waren.


Nach den Deportationen wurde in der Regel das Restvermögen der Deportierten, sofern noch vorhanden, durch den NS-Staat eingezogen.


Stolperstein-Rundgang im Kreuzviertel

In Klammern das Datum der Stolpersteinverlegung;

die biographischen Informationen stammen in Kurzfassung aus der App der Villa ten Hompel bzw. der App „Stolpersteine NRW“.

Kettelerstr. 27 (02/2005)

Strauss, Otto, geb. am 23.06.1878 in Lüdinghausen, Dienst bei der Infanterie 1898-1900, Freiwilliger der deutschen Schutztruppe in China, anschließend Infanterieregiment 13 in Münster, Kriegsteilnehmer 1914-16, Träger zahlreicher Orden und Auszeichnungen, Kaufmann (Kolonialwarenhandel bis zur Zwangsabmeldung des Geschäfts nach der Pogromnacht 1938), 1939 Zwangsumsiedlung mit seiner Frau Johanna nacheinander in drei der Münsteraner „Judenhäuser“, deportiert am 31.07.1942 in das Ghetto Theresienstadt. Das war auch der Todesort, Todestag der 07.12.1942.
Strauss, Johanna, geb. Edelstein, geb. am 03.08.1890 in Husen, ebenfalls am 31.07.1942 deportiert in das Ghetto Theresienstadt, nach dem Tod des Mannes in das KZ Auschwitz am 29.01.1943, dort in der Gaskammer unmittelbar nach Ankunft getötet.


Wermelingstr. 50 (12/2004)

Ripperger, Fritz-Robert, geb. 06.12.1906 in Münster, Umzug 1912 nach Weißenfels (Saale), dort bis 1931, später als Kaufmann in Berlin, wo er sich als Homosexueller wohl ein weniger gefährdetes Leben versprach. Verhaftung und Einlieferung in das KZ Buchenwald wegen seiner Homosexualität am 11.06.1942, am 07.07.1942 Verlegung in das KZ Dachau, dort „verstorben“ am 04.10.1942.


Der Stolperstein für Fritz-Robert Ripperger wurde auf besonderen Wunsch des Stolperstein-Paten in Münster verlegt, obwohl es nicht dessen letzter Wohnort war.


Kanalstr. 35 (04/2004 u. 02/2005)

Kutner, Max, geb. am 17.06.1888 in Stubendorf (heute Izbicko/Polen), Kaufmann u. Fabrikant (Schirmfabrik), im November 1939 Tod der Ehefrau nach langjähriger Krankheit, Auswanderungsbemühungen in die USA zusammen mit der Tochter Sonja scheitern mangels Visa, nacheinander Einweisung in zwei der „Judenhäuser“, Deportation zusammen mit der Tochter Sonja und der Schwiegermutter Hedwig Probstein am 13.12.1941 in das Ghetto Riga, Todesort vermutlich KZ Riga-Strasdenhof.


Kutner, Sonja, geb. am 13.05.1922 in Münster, Tochter von Max Kutner, 1933 Schülerin des Annette-Gymnasiums, 1936 „beurlaubt“ trotz bestehender Schulpflicht, seit Sept. 1937 Schulbesuch in Prag, 1938 Rückkehr nach Münster, deportiert am 13.12.1941 zusammen mit dem Vater Max Kutner und der Großmutter mütterlicherseits in das Ghetto Riga. Ende 1943 KZ Riga-Strasdenhof, wo sie ermordet wurde und auch ihr Vater und ihre Großmutter vermutlich ums Leben kamen.


Kanalstr. 27 (12/2004)

Less, Hugo, geb. am 24.03.1894 in Kamin/Westpreußen, Kriegsversehrter aus dem 1. WK, bezog eine Schwerbeschädigtenrente und wurde noch 1934 mit dem „Ehrenkreuz für Frontkämpfer“ ausgezeichnet, 1939 zusammen mit Frau Elly und Sohn Kurt nacheinander in verschiedene „Judenhäuser“ eingewiesen, zuletzt in das „Judenhaus“ Am Kanonengraben 4, deportiert am 31.07.1942 in das Ghetto Theresienstadt, Verlegung am 06.10.1944 in das KZ Auschwitz, dort auch der Todesort.


Less, Elly, geb. Rosenberg, geb. am 03.07.1901 in Freckenhorst, Ehefrau von Hugo Less, Kassiererin in einem Herrenbekleidungsgeschäft bis zu dessen Konkurs 1934, deportiert am 31.07.1942 in das Ghetto Theresienstadt zusammen mit ihrem Ehemann Hugo und ihrem Sohn Kurt sowie ihrer Schwester Hilde und deren Familie, Verlegung am 06.10.1944 in das KZ Auschwitz, dort auch der Todesort.


Less, Kurt, geb. am 10.08.1935 in Münster, deportiert am 31.07.1942 zusammen mit seinen Eltern Elly und Hugo Less in das Ghetto Theresienstadt, Verlegung am 06.10.1944 in das KZ Auschwitz, dort im Alter von neun Jahren ermordet.


Maximilianstr. 40 (ehemals 38) (11/2005)

Miltenberg, Ida, geb. am 18.09.1883 in Bösensell, eines von insgesamt fünf Kindern des Metzgers Abraham Miltenberg, der mit seiner Familie ab 1885 in Münster lebte, die zu den ärmsten jüdischen Familien in Münster gehörte und im Lebensunterhalt durch eine jüdische Stiftung unterstützt wurde. Ida arbeitete als Dienstmagd, im Mai 1940 Überweisung in ein „Judenhaus“, deportiert am 13.12.1941 in das Ghetto Riga, auch der Todesort.


Miltenberg, Hulda, geb. am 19.01.1886 in Münster, Schwester von Ida M., Haushaltshilfe, deportiert am 13.12.1941 zusammen mit ihrer Schwester Ida in das Ghetto Riga, auch der Todesort.

 


Wermelingsstr. 1 (12/2004 u. 11/2009)

Gumprich, Gustav, geb. am 07.11.1879 in Münster, Viehhändler, Eigentümer des Hauses Wermelingstr. 1 seit 1921, Zwangsaufgabe des Gewerbes 1938 durch Entzug des Gewerbescheins, Zerstörung der Wohnung während der Pogromnacht im November 1938. Für die beiden Kinder Ernst (geb. 1908) und Irmgard (geb. 1911) gelingt die Emigration in die USA, für die Eltern nicht, stattdessen Zwangsverkauf („Arisierung“) des Hauses am 11.01.1939 und Verlust der Wohnung, für die noch ein befristetes Wohnrecht bestand, sowie Einweisung in das „Judenhaus“ Hermannstr. 44 am 16.07.1940. Im November 1941 untersagten die NS-Behörden eine Ausreise über Ecuador in die USA. Am 13.12.1941 Deportation der Eheleute Gustav und Lina Gumprich, geb. Hoffmann, geb. am 04.12.1882 in Wolbeck, in das Ghetto Riga, Todesort KZ Riga-Kaiserwald.


Arensberg, Gustav, geb. am 30.03.1883 in Alverdissen/Lippe, Kriegsteilnehmer 1. WK u. Kriegsgefangenschaft, ledig, Kaufmann, Mitglied im Vorstand der lippischen DDP (Deutsche Demokratische Partei), seit dem Wahlkampf 1933 Opfer nationalsozialistischer Verfolgung und Zwangsmaßnahmen, die vor allem sein nicht unbeträchtliches Vermögen betrafen. Bei dem Novemberpogrom 1938 Zerstörung von Geschäft und Wohnung, danach Zwangsverkauf seines Grundbesitzes. Seit Februar 1939 lebte er bei seiner Schwester Martha Hoffmann in der Wermelingstr. 1, wo diese selbst mit ihrer Familie bei dem jüdischen Hausbesitzer Zuflucht gesucht hatte. Seit dem 29.07.1940 Zwangsumsiedlung in das „Judenhaus“ Salzstr. 3. Der Versuch einer Emigration nach Palästina scheiterte an der restriktiven Einwanderungspolitik der britischen Mandatsregierung. Am 13.12.1941 wurde er mit seiner Schwester und deren Ehemann in das Ghetto Riga deportiert, nach dem Bericht einer Überlebenden bei einer „Aktion“ ermordet im KZ Riga Strasdenhof.


Die Stolpersteine für Martha Hoffmann und ihren Mann Salomon, die ebenfalls im KZ Riga-Strasdendorf ums Leben kamen, wurden an ihrem Wohnort in Wolbeck, Hofstr. 23, verlegt.
Den vier Söhnen dieses Ehepaars gelang zu unterschiedlichen Zeiten die Flucht nach Südafrika, Palästina, in die USA und nach England.


Rudolf-von-Langen-Str. 42 (12/2006)

Waldeck, Carl, geb. am 01.08.1870 in Zierenberg/Kassel, seit 1899 Kaufmann (Großhandel für Haushaltswaren) in Münster, Tod seiner ersten Frau 1910. Nach Aufgabe seines Geschäftes 1932 Tätigkeit als Vertreter, seit 1937 wohnhaft in der Rudolf-von-Langenstr. 42. Während den vier Kindern aus seiner zweiten Ehe (1912) die Emigration in die USA, nach Palästina und Argentinien gelang, scheiterten entsprechende Bemühungen der Eltern 1939. Ab März 1940 erfolgte die Umsiedlung zunächst in das „Judenhaus“ Salzstr. 31, dann ab Februar 1942 in das „Judenhaus“ Am Kanonengraben 4. Das Ehepaar Waldeck wurde mit dem letzten Transport aus Münster am 31.07.1942 in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo Carl Waldeck am  07.03.1944 verstarb.


Waldeck, Henny, geb. Herzfeld, geb. am 14.01.1884 in Bochum, arbeitete zunächst in Verkauf und Buchhaltung im Geschäft ihres Mannes. Nach dessen Aufgabe Eröffnung eines Mittagstisches bis zum Verbot der Bewirtung nichtjüdischer Gäste, danach Angebot von Kost und Logis in ihrer Wohnung in der von-Langestraße bis zur Einweisung in eines der „Judenhäuser“. Am 31.07.1942 zusammen mit ihrem Mann Deportation in das Ghetto Theresienstadt, nach dem Tod ihres Mannes am 16.05.1944 weiter in das KZ Auschwitz, dort auch der Todesort.


Kampstr. 3 (05/2006)

Schelhasse, Sabine, geb. Lubasz, geb. am 17.04.1886 in Tarnow/Polen, durch Heirat mit dem Geschäftsführer des Schuhhauses Marcus, Ferdinand Schelhasse (kath.) deutsche Staatsbürgerin. Tod des Ehemannes am 05.04.1942, dadurch Verlust des Schutzes als „Mischehepartnerin“, Zwangsumzug in das „Judenhaus“ Am Kanonengraben 4, Einzug des Erbes (Haus, Wohnungseinrichtung, Bankguthaben). Deportiert am 10.07.1942 in das Warschauer Ghetto, Todesort unbekannt.


Schulstraße 19 (12/2004)

Die Eheleute Goldenberg zogen 1933 nach Münster in die Schulstr. 19, in der Pogromnacht vom 09./10.11.1938 wurde ihre Wohnung verwüstet, am 04.10.1939 musste die Familie in das „Judenhaus“ Hermannstraße 44 umsiedeln.


Goldenberg, Mirjam, geb. am 11.04.1937 in Münster, wurde als Viereinhalbjährige am 13.12.1941 zusammen mit ihren Eltern in das Ghetto Riga deportiert, Todesort vermutlich KZ Auschwitz. Mirjam Goldenbergs Stolperstein war der erste in Münster verlegte Stolperstein.


Die Eltern, Siegfried Goldenberg, Metzger, u. Else Goldenberg, geb. Wertheim, Geschäftsführerin, wurden nach der Deportation nach Riga in unterschiedliche KZ verbracht, der Mann nach Buchenwald und Theresienstadt, die Frau nach Stutthoff. Beide überlebten. Nach der Befreiung durch die Rote Armee Rückkehr nach Münster. Engagement beim Wiederaufbau der jüd. Gemeinde. Else Goldenberg verstarb 1979, ihr Mann Siegfried ein Jahr später, beigesetzt sind beide auf dem jüd. Friedhof in Münster.


Raesfeldstr. 28 (01/2004)

Scheuer, Hermann, geb. am 25.04.1903 in Laasphe/Wittgenstein, Lehrer u. Kantor, deportiert am 13.12.1941 in das Ghetto Riga, Todesort KZ Stutthoff.


Scheuer, Else, geb. Reingenheim, geb. am 23.12.1900 in Rheine, Lehrerin, deportiert am 13.12.1941 in das Ghetto Riga, Todesort KZ Stutthoff am 08.01.1945.
Tochter des Hauseigentümers Jakob Reingenheim. Offensichtlich verwandt mit der Familie Reingenheim in Hopsten bei Rheine, an deren Opfer in Hopsten durch mehrere Stolpersteine erinnert wird.


Schon vor dem Novemberpogromen 1939 versuchten Else Scheuer und ihr Mann Hermann, nach Brasilien zu gelangen, wo Elses Bruder lebte. Doch dieser konnte nur Visa für die Eltern Reingenheim besorgen, nicht für Else und Hermann.


Mithilfe von "Reichsfluchtsteuer" und "Judenvermögensabgabe" brachte der NS-Staat Else Scheuer systematisch um ihr Vermögen, das sie als Tochter wohlhabender Kaufleute besessen hat. Nach dem sicherlich nicht freiwilligen Verkauf des elterlichen Hauses Anfang 1939 musste das Ehepaar schon bald in den "Judenhäusern" leben (erst in der Salzstr. 31, dann in der Prinz-Eugen-Str. 39.) In dieser Zeit unterrichten beide an der Schule der seit 1825 bestehenden jüdischen Marks-Haindorf-Stiftung, deren Schulhaus sich am Kanonengraben 4 befand, das gleichzeitig in eines der „Judenhäuser“ umgewandelt worden war. Das Gebäude befindet sich auch heute noch dort.
Ende 1941 wird Else Scheuer zusammen mit ihrem Mann und den meisten ihrer verbliebenen Schülerinnen und Schüler ins Ghetto Riga deportiert. Später wird das Ehepaar in das Konzentrationslager Stutthof bei Danzig verlegt, wo es kurz vor dem Ende des Zweiten Weltkrieges ums Leben kommt.

In der Raesfeldstraße 28 wohnte den Münsteraner Einwohnerbüchern zufolge spätestens seit 1936 Prof. Dr. Hans-Erich Stier, und zwar mindestens bis 1950. Danach nennen die Einwohnerbücher andere Wohnadressen. Prof. Stier war von 1935 bis 1945 außerordentlicher Professor für Alte Geschichte an der Universität Münster. Er folgte dem vorzeitig zur Ruhe gesetzten jüdischen Lehrstuhlinhaber Friedrich Münzer nach, ohne allerdings dessen Lehrstuhl übernehmen zu können. Das hing mit der durch die Nazis geänderten Personalpolitik an den deutschen Universitäten zusammen: Das „Gesetz über die Entpflichtung und Versetzung von Hochschullehrern aus Anlass des Neuaufbaus des Hochschulwesens vom 21.01.1935 (GEVH)“ hatte die Ordinariate faktisch abgeschafft. Auf den Lehrstuhl für Alte Geschichte wurde er deshalb erst nach dem Ende der NS-Herrschaft und des 2. Weltkrieges berufen. Er war Mitglied im Entnazifizierungsausschuss der Universität Münster und als Protestant Mitbegründer der CDU in Münster sowie von Oktober 1946 bis Juli 1970 CDU-Landtagsabgeordneter.

 


Marienthal

Die Provinzial- und Pflegeanstalt Marienthal (heute LWL-Klinik) wurde 1877 vom Provinzialverband Westfalen gegründet. Der am 1. September 1939 beschlossene "Euthanasie-Erlass" führte zur Ermordung psychisch Kranker auch aus der damaligen Heilanstalt Marienthal. Zwischen 1940 und 1943 wurden über 550 Menschen aus der Heilanstalt in Todeslager deportiert. Im Rahmen des NS-„Euthanasieprogramms“ (verschleiernd „Aktion T 4“ genannt) wurden von dort zwischen 1941 und 1945 etwa 500 jüdische und nichtjüdische Patientinnen und Patienten mit geistigen und/oder körperlichen Beeinträchtigungen in sogenannte Zwischenanstalten deportiert, um anschließend in sogenannten Tötungsanstalten wie z.B. Hadamar ermordet zu werden. Voraus ging in der Regel die Begutachtung und Einstufung dieser Menschen als „lebensunwertes Leben“ durch Anstaltsärzte.


Ein Sammeltransport von Marienthal in sogenannte Zwischenlager fand am 29.06.1943 statt.

Eine besondere Rolle spielte in Marienthal die Clemensschwester Laudeberta, die als die wichtigste Informantin des Münsteraner Bischofs und späteren Kardinals von Galen gilt und wohl den Anstoß für seine berühmten Predigten gegen das Euthanasieprogramm der Nationalsozialisten im Sommer 1941 gegeben hat.

Die Stolpersteine findet man, wenn man den Eingang Friedrich-Wilhelm-Weber-Str. 30, neben dem Parkplatz, benutzt und geradeaus bis zu der Kirche durchgeht.

Auf dem Zugang rechter Hand befinden sich die Stolpersteine zur Erinnerung an
Kipp, Alwine (L), geb. 10.01.1906 in Münster, ledig, lebte im Elternhaus, eingewiesen in die Provinzialheilanstalt Marienthal am 23.01.1937, am 29.06.1943 als „lebensunwert“ mit einem Sammeltransport überwiesen in die „Heilanstalt“ Scheuern (Rheinland-Pfalz), am 02.09.1944 weiter in die Tötungsanstalt Hadamar, dort am 15.09.1944 ermordet.


Tunnisen, Luise (S), geb. am 10.04.1880, Küchenmädchen, ledig, eingewiesen in die Provin-zialheilanstalt Marienthal am 22.05.1915, als „lebensunwert“ eingestuft mit einem Sammeltransport am 29.06.1943 überwiesen in die Zwischenanstalt Weilmünster (Hessen), dort ermordet am 07.12. 1943.


Drügemöller, Theodor (E), geb. am 16.06.1911, Autoschlosser und Kraftfahrer, Behandlungen in der Provinzialheilanstalt Marienthal, am 14.07.1937 zwangssterilisiert, als „lebensunwert“ am 29.06.1943 überwiesen in die Zwischenanstalt Eichberg (Hessen), am 12.10.1943 verlegt in die Tötungsanstalt Hadamar, dort am 03.11.1943 ermordet.

 

Auf dem Zugang linker Hand befinden sich die Stolpersteine zur Erinnerung an Schlüter, Carl (T), geb. am 08.10.1891, Teilnehmer 1. WK, Tischler, am 03.12.1920 Einlieferung in die Provinzialheilanstalt Marienthal wegen „einfacher Seelenstörung“, eingestuft als „lebensunwert“ Deportation mit einem Sammeltransport am 30.06.1943 in die Zwischenanstalt Eichberg (Hessen), von dort verlegt in die Tötungsanstalt Hadamar, dort ermordet am 19.11.1943.


Helling, Mathilde (G), geb. am 07.04.1879, lebte als Hausgehilfin nach dem Tod der Mutter im Haushalt des Vaters, Einweisung in die Provinzialheilanstalt Marienthal am 11.10.1913, am 28.09.1940 von einem dortigen Arzt als „lebensunwert“ eingestuft, am 29.06.1943 überwiesen in die Zwischenanstalt Eichberg (Hessen), am 02.09.1943 verlegt in die Tötungsanstalt Hadamar, dort am 04.09.1943 ermordet.


Stutz, Richard (R), geb. am 19.05.1900 in Münster, Anstreicher, lebte mit Frau und Sohn in der Wolbeckerstr. 43, am 16.09.1929 wegen „nervlicher Krankheit“ eingewiesen in die Provinzialheilanstalt Marienthal, als „lebensunwert“ eingestuft mit einem Sammeltransport am 29.06.1943 in die Zwischenanstalt Eichberg in Hessen gebracht, am 13.10.1943 Verlegung nach Weilmünster (Hessen), ermordet dort am 12.12.1943.

 

Nachweise/Literatur Marienthal

App der Villa ten Hompel: https://apps.apple.com/de/app/villa-ten-hompel/id1127405187
Euthanasie-Stolpersteine in der LWL Klinik für Psychatrie (ehemalige Provinzial-Heilanstalt Marienthal): https://www.stadt-muenster.de/kriegerdenkmale/erinnern-nach-2000/euthanasie-stolpersteine
Verein Spurenfinden e.V.: http://www.muenster.org/spurenfinden/stolpersteine/index.php
Schwester Laudeberta: https://wiki.muenster.org/index.php/Schwester_Laudeberta


Quellen
Forum für Alltagsgeschichte - Altes Backhaus e. V.
Coerdestr. 36a - 48147 Münster
Text: Dietrich Scholle - Stand: 18.06.2024

Fotos: Dr. Martin Führing und Dietrich Scholle - Stand: 24.06.2024