Im Mai 2022

Liebe Leserin, lieber Leser,

eine kleine Broschüre mit Zeichnungen und erläuternden Reimen liegt mir seit einigen Tagen vor. Das Heftchen war anlässlich des Karnevals 1897 herausgegeben worden und zeigt die Umzugswagen jenes Jahres. Bei näherer Betrachtung der Zeichnungen fand ich etliche Themenwagen so interessant, dass ich sie an dieser Stelle veröffentliche.

 

Vor 125 Jahren bewegten unter anderem folgende Themen Münsters Bürgerschaft:

- Ist eine mit Gas betriebene Straßenbahn geruchlos?
- Die utopische Idee eines Professors, ein Aa-Bassin zu schaffen.
- Das Annette-Denkmal gibt Anlass, die Obrigkeit auf die Schippe zu nehmen.

- Frauen und Studium? Nur in einer Bekleidungsakademie zulässig...

Das Thema eines Wagens über die ferne Kamerun-Kolonie ist kritisch zu beurteilen. Mehr dazu im Folgenden.

 

In einer Bildergalerie am Schluss des Beitrages ist das Programm-Heft komplett wiedergegeben.


1897 - Was Menschen bewegte

Motto: Män hier nich upmucken!

1897 erschien ein kleines Programmheft, in dem die einzelnen Wagen des Karnevalsumzuges aufgeführt sind. Die liebevoll gestalteten, detailreichen Abbildungen zeichnete der Bildhauer Fritz Ewertz (1860-1926). Heinrich Gößmann reimte die Texte.

Damit sich auch alles finanziell trägt, hatten Restaurants, Gaststätten und andere Firmen Werbung in das Heft platziert. Dieses geshah natürlich nicht ganz uneigennützig, denn man versprach sich dadurch höhere Umsätze während der Karnevalstage.


Über das Sessionsmotto

Postkartenmotiv  Bierkrieg
Postkartenmotiv Bierkrieg

Das Sessionsmotto ,Män hier nich upmocken!' stand im engen Zusammenhang mit dem gerade anderthalb Jahre zurückliegenden ,Bierkrieg'. Die Bürger hatten gegen die Obrigkeit wegen der Einführung der Polizeistunde aufgemuckt - mit Erfolg. Gut in der Erinnerung hatte die katholisch geprägte Bevölkerung auch den mehr als ein Jahrzehnt zurückliegenden ,Kulturkampf', in dem man sich gegen die preußische Regierung wehrte.

 

In dieser Stimmungslage traf das Motto genau ins Schwarze.

Ist die gasbetriebene Straßenbahn geruchslos?

Für den innerstädtischen Nahverkehr konnte seit einigen Jahren der Pferde-Omnibus von Heinrich Hagenschneider genutzt werden. Als dann über die Einführung der Straßenbahn diskutiert wurde, stellte sich die Frage, ob sie elektrisch oder mit Gas betrieben werden sollte. Dabei hatten die Karnevalisten die Sorge, dass der Gasmotor nicht vollständig geruchlos sei.

 

Auf dem Jauchefass sitzen übrigens Männer und Frauen streng getrennt voneinander - der Sittlichkeit wegen...

Neben der möglichen Geruchsbelästigung wurde auch diskutiert, was für eine ober- oder unterirdische Verkehrführung spricht. Vier Jahre später konnte in Münster die oberirdische Straßenbahn in Betrieb genommen werden. Sie wurde elektrisch betrieben...

Über eine vermeintlich skurrile Idee

Der Turnverein wartete mit einem besonderen Themenwagen auf:

Ein Professor hat die neuartige Idee, auf den Aa-Wiesen ein Wasser-Bassin zu schaffen. Man könne darin baden, Gondeln schaukeln auf dem Wasser, und Schwäne fänden dort ein Paradies. Mit Ironie wurden günstige Bauplätze an den Ufern in Aussicht gestellt.

Es war der als utopisch empfundene Vorschlag des Professors Hermann Landois, nämlich einen See in den Feuchtwiesen der Aa aufzustauen. Jahre später wurde seine Idee bestaunte Realität. Der Bau des 1. Bauabschnitts des Aasees begann zwar vor dem 1. Weltkrieg, konnte aber erst nach längerer Pause 1934 fertiggestellt werden. Entstanden ist eine einzigartige Parklandschaft

 

Apropos: Was mögen die Menschen in hundert Jahren über die derzeitige Diskussion zur geplanten Musikhalle denken...

Sorge um ,a nettes Denkmal'

Anton Rüllers Annette-Denkmal von 1896 stand ursprünglich am Kanonengraben. Später bekam es seinen Platz an der Kreuzschanze.

 

Die fürsorglichen Stadtväter umgaben das Denkmal mit einem Zaun, um es vor Verschandelungen zu schützen. Die Karnevalisten nahmen sich des Themas gerne an und karikierten keck das Vorgehen der Verwaltung: die Annette-Büste könnte doch gleich in ein Bretterhaus gesetzt werden.

Die geplante Markthalle - Studium für Frauen

Es war so schön geplant:

eine Markthalle sollte Münster bereichern. Alle Waren unter einem Dach, geschützt vor Wind und Wetter. Doch die Idee kam nicht zur Realisierung.

Frauen und Studium? Das passte nicht in das damalige Rollenverständnis. Erst seit 1908 durften Frauen in Münster studieren. Mit dem Themenwagen wurde ihnen ein einsemestriges Studium der Schneiderei zugestanden.


Auch das gab's

Das afrikanische Kamerun war während der Kaiserzeit eine der deutschen Kolonien. Der heute sehr befremdlich empfundene Text und die dazugehörige Zeichnung vermitteln das allgemein vorherrschende Überlegenheitsgefühl gegenüber den Menschen der Kolonien. Nun habe man den ,Häuptling und seinen Sohn' sogar mit der Turnidee von Turnvater Jahn beglückt. Tatsächlich wurde die einheimische Bevölkerung  brutal unterdrückt und das Land ausgebeutet.

 

Dieses Dokument ist in der Rückschau ein Beleg bedrückenden Unrechts.

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Das ,Hotel König von England' am Prinzipalmarkt bot der Karnevalisten-Gemeinde ein opulentes Festdinner an. Bei Musik und karnevalistischen Vorträgen konnte ein neungängiges Menü zu sich genommen werden. Bei Schildkrötensuppe, Rheinsalm, Rinderfilet, Champagner-Sauerkraut mit Kassler Rippspeer, Helgoländer Hummer, Rehbraten, Prinz-Pückler-Eis, Käse und einem Dessert wird sich mancher Magen überladen haben.

Für die Hausbeflaggung, die Ausstattung mit Schärpen, Degen und Federbüschen warb die Münsterische Fahnenfabrik. Ganz modern und gefragt waren Regenmäntel, Schuhe und Bodenbeläge aus Gummi. Sogar Gummi-Schläuche für Wein, Bier und Wasser wurden angeboten. Wie mag Wein oder Bier aus einem solchen Behältnis wohl schmecken...


Das komplette Programm des Carneval-Zuges von 1897


Quellen

Text: Henning Stoffers

Abbildungen: Henning Stoffers