Liebe Leserin, lieber Leser,

in Münsters ,Großen Kiepenkerl' bin ich mit Christoph Tiemann verabredet. Das Lokal ist ihm gut bekannt, denn dessen Küche hat er für die WDR-Lokalzeit getestet. Rund 250 weitere Gaststätten-Küchen im Münsterland sind in den  ,Tiemann testet'- Sendungen im Laufe der letzten 10 Jahre von ihm begutachtet worden. Ihn nur damit in Verbindung zu bringen, würde ihm nicht gerecht werden. Seine Vielseitigkeit ist viel umfassender.

 

Im Gespräch erlebe ich einen feinfühligen, temperamentvollen und eloquenten Menschen, der zuhört, kritisch hinterfragt, dem Oberflächliches zuwider ist und der sich in einer steten Weiterentwicklung befindet.

 

Wir kennen uns bereits von einem Treffen, das vor längerer Zeit stattfand. Unser Thema: Warum sollen wir nicht einmal gemeinsam in einer Veranstaltung rund um Münsters Geschichte  auftreten? Nun ist wieder die Gelegenheit, über ein solches Vorhaben zu sprechen. Die Wege werden zueinander führen...


Christoph Tiemann

Schauspieler, Kabarettist, Autor, Regisseur, Moderator...

Elternhaus, Kindheit, Schule

1977 ist ein bewegtes Jahr: Elvis Presley und Charlie Chaplin sterben. DieTerrorwelle der RAF erreicht mit der Entführung von Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer ihren Höhepunkt und geht als ,Deutscher Herbst' in die Geschichte ein. - Im Dezember jenes Jahres wird in Dortmund Christoph Tiemann geboren.

Seine Familie gehört der evangelischen Kirche an; sich selbst bezeichnet er als ,transkatholisch' und hat auch später katholisch geheiratet. Er hat eine ältere Schwester. Der Vater ist Beamter, die Mutter - der Vater hatte sie auf einer Urlaubsreise im damaligen Jugoslawien kennengelernt - war Chemielaborantin und arbeitet später beim Gericht als Dolmetscherin für slowenische und kroatische Sprachen.

 

Christoph wächst in Selm auf. Dieser Ort wird von ihm etwas spöttisch als ,Ständige Vertretung des Ruhrgebiets im Münsterland' bezeichnet. Er besucht hier die Grundschule und geht später auf die Gesamtschule in Lünen. Schon früh engagiert sich Christoph in evangelischen Jugendfreizeiten, gestaltet Abendveranstaltungen, Spiel-Shows und Theaterstücke. Hier erahnt er, wo seine Kompetenzen liegen. Denn Christoph fühlt sich nicht nur als Moderator, sondern er integriert sich auch in die Rolle einer der handelnden Figuren. Man kann hier die Keimzelle seines späteren Berufes erahnen.

 

Nach dem Abitur leistet Christoph seinen Zivildienst in der evangelischen Jugendarbeit - eine für ihn naheliegende und konsequente Entscheidung.

Studium

Seine nächste Station führt ihn an die Universität Münster. Da Christoph noch gar nicht so richtig weiß, was er studieren soll, entscheidet er sich für das Lehramt mit den Fächern Deutsch und Englisch. Dass das, was man aus Leidenschaft macht, einmal auch der Beruf sein könnte, ist für ihn nicht vorstellbar, zumal solche Vorbilder in seiner Familie nicht vorhanden sind.

 

Bis dahin bezeichnet sich Christoph als braven und artigen Heranwachsenden. Das Infragestellen, warum dieses so und nicht anders ist, sowie ein Aufbegehren gegen Konventionen kommen erst in seinen späteren Studienjahren. So empfindet Christoph das Verhalten von etlichen Lehrenden als arrogant verletzend, wenn grußlos ein Vorlesung beginnt, keine Wertschätzung zu spüren ist, oder die Studierenden nicht da abgeholt werden, wo sie sind.

 

Er landet in einer Phase tiefen Unglücklichseins, zweifelt an seinem eingeschlagenen Weg und schnuppert suchend in weitere Fächer hinein wie Geschichte, Philosophie Mathematik, Psychologie und Theologie. Rückblickend sagt Christoph, das sei genau richtig gewesen. Dadurch sei ihm eine breite Wissensbasis zugute gekommen. Er habe endlich die Klarheit für seinen weiteren Lebensweg gefunden.

Weichenstellungen

Parallel zum Studium professionalisiert Christoph sich immer mehr durch seine Engagements an der Studiobühne und dem Improtheater. Er tritt in anspruchsvollen Bühnenstücken auf - so wie er es bisher nicht kannte. Weiter nimmt er an Rhethorikkursen teil und beginnt am Campus Radio Q. Christoph lernt schnell, darf nach kurzer Zeit Nachrichten sprechen und moderieren. Und erstmals fühlt er sich wohl und findet wieder Grund unter seinen Füßen.

Es verdrießt ihn nicht, dass seine Bewerbungen an Schauspielschulen nicht erfolgreich sind. Als Mittzwanziger ist Christoph bereits zu alt dafür.

 

Dann hospitiert Christoph beim Sender 1LIVE und ist ganz stolz, bei der ,Zugabe' von WDR 2 mitmachen zu dürfen. Von der studentischen Studiobühne geht es mit einer Mini-Rolle an das Theater Münster und danach mit einem größeren Auftritt an das Theater Oberhausen.

 

Christoph macht Kabarett und Satire. Hier ist er in seinem Element. Er provoziert, seziert, klagt an, legt charmant den Finger in die Wunde und verliert bei aller Scharfzüngigkeit nicht den Humor.

 

Viel Freude macht ihm die WDR-Sendung ,Tiemann testet'. Nicht nur deswegen, weil in der Regel gutes Essen genossen werden kann, sondern weil er gern mit Menschen spricht, sie interessiert befragt und sich ihnen mit viel Charme zuwendet.

 

Wenn Christoph gefragt wird, welchen Beruf er hat, kann seine Antwort unterschiedlich ausfallen. Die Schwerpunkte wechseln, mal ist er Schauspieler, Kabarettist, Autor, Sprecher, Regisseur oder einiges davon auch gleichzeitig. Für ihn sind seine Berufe ein laufender Prozess mit wechselnden Schwerpunkten.

Konzert im Schlossgarten unter der Leitung Joachim Harde am 18.6.2023 - Foto: Henning Stoffers
Konzert im Schlossgarten unter der Leitung Joachim Harde am 18.6.2023 - Foto: Henning Stoffers

Fragen und Antworten

Wie hältst Du es mit preußischen Tugenden wie Pünktlichkeit und Disziplin?

Zwei Seelen wohnen in meiner Brust. Die preußische Disziplin väterlicherseits und die Nonchalance mütterlicherseits. Mit diesen Widersprüchen stehe ich im steten Widerstreit. Meine Mutter ist deutschsprachig aufgewachsen und hat die Leichtigkeit der österreichischen Lebensart.

Wie ist die Rolle als Conférencier bei einer Veranstaltung?

Kürzlich hatte ich diesen Part bei einer Musikveranstaltung vor etwa 700 Menschen im Schlossgarten. Das macht mir riesig Spaß, denn alle meine Disziplinen kann ich einsetzen, insbesondere die Erfahrungen aus der Improtheater-Zeit und dem klassischen Theater. Besonders Fingerspitzengefühl ist wichtig, um nicht flapsig zu sein, wenn Ernsthaftigkeit gefordert ist. Und natürlich muss ich gut vorbereitet sein.

Hast Du Lampenfieber?

Nein, aber Angst, die mit den Jahren trotz wachsender Routine immer schlimmer wird. Es ist die Angst, bei den Menschen nicht anzukommen, nicht verstanden zu werden.

Was machst Du am liebsten?

Am aller-, aller-, allerliebsten produziere ich Hörspiele auf der Plattform Theater ex libris. Das Skript schreiben, ein klassisches Stück in eine Hörform bringen oder einen Text aus irgendeiner anderen Vorlage hörbar machen, all dies bietet unendliche Möglichkeiten. Mit viel Phantasie, mit ausgesuchten Sprecherinnen und Sprechern und exzellenten Technikern gelingt ein professionelles Hörspiel, das bis ins Kleinste ausgefeilt ist.

 

Zu Deiner Rolle ,Tiemann testet'?

Das sind schöne Ausflüge in die münsterländische Gastronomie. Ich spüre, mit welcher Leidenschaft die Köchinnen und Köche ihren Beruf ausüben. Ich gehe auf die Menschen zu, und stelle sie in den Mittelpunkt. Kochen kann ich nicht, aber das Essen genieße ich. Das Münsterland, das ich vorher gar nicht so richtig kannte, ist mir in Laufe der zehn Jahre ans Herz gewachsen.

 

Wie gefällt Dir Münster?

Münster hat viele schöne Ecken, und die täuschen allerdings darüber hinweg, dass es auch hässliche Ecken gibt, wo unbedingt etwas getan werden müsste. - Dann ist Münster teuer. Ich habe die Sorge, dass nicht mehr jeder hier leben und wohnen kann. Auch bin ich geschockt, wie oft abgerissen wird und Altes - auch wenn es nicht unbedingt schön ist - sang- und klanglos verschwindet. Die Uniformität einfallsloser Architektur hat leider Oberhand gewonnen.

Was wünschst Du Dir?

Meine wichtigen Live-Hörspiele sollen nach Corona wieder so richtig in Schwung kommen. Einigen meiner Kolleginnen und Kollegen, mit denen ich freundschaftlich verbunden bin,  geht es gesundheitlich nicht gut. Ihnen gelten meine besten Wünsche.

 

Was verabscheust Du?

Abscheu ist ein starkes Wort. Ich bin nicht so sehr fürs Radikale. Aber mit Leuten habe ich große Schwierigkeiten, die sich nicht die Mühe machen, eine andere Meinung zu hinterfragen und so den Anderen pauschal ablehnen. Man sollte Wege zueinanderfinden und nicht umgekehrt.

 

Was machst Du in Deiner Freizeit?

Ich habe meine kindliche Begeisterung für Lego-Bausteine wiederaufleben lassen. Es ist wie eine meditative Handlung, in der Kiste nach den passenden Bausteinen zu kramen und dann etwas nach meiner Phantasie zu bauen.  Dies bereitet mir so viel Freude, dass inzwischen mein Arbeitszimmer damit vollgestellt ist.


Ein Schlusswort

Christoph Tiemann ist unverzichtbarer Bestandteil der münsterländischen Kunstszene und auch darüber hinaus. Geplant hatte er seinen Werdegang nicht, eher war es ein tastender, dynamischer Prozess, nämlich die ureigenen Begabungen und Stärken zu erkennen und zu leben. Seine künstlerische Vielseitigkeit und die Zuwendung zu den Menschen ist eine seiner besonderen Stärken.

 

Mit Christoph zu sprechen und ihm zuzuhören, hat mir einen vielschichtig differenzierten Menschen nahegebracht. Ich danke für seine Offenheit und das gute Gespräch.


Fotos:

Christoph Tiemann und Hanno Endres