das Abendlokal ,Elephant' - auch liebevoll ,Rüssel' genannt - war Mittelpunkt einer gepflegten Partyszene am Roggenmarkt. Im Schatten der Lambertikirche wurden rauschende Partys gefeiert. Prominenz aus Film, Funk und Fernsehen gaben sich hier ein Stelldichein.
Dieser Beitrag erinnert an ein Abendlokal der besonderen Art, das fünf Jahrzehnte eine Institution und Magnet für viele Münsteranerinnen und Münsteraner war.
Für Informationen und Fotos danke ich Günter Strickstrock. Ulrich Panning und Dr. Heinz-Joachim Buschmann.
In den 1960er Jahren schossen Diskotheken wie die Pilze aus dem Boden. Der Boom erfasste das gesamte Land. In Münster gab es bereits Mönsters Tenne, das Insel-Café - die Eule eröffnete 1969 - und andere Diskotheken, als der Installationsmeister Paul Hinnenberg (1920-1985) von der Gertrudenstraße seine Idee realisierte. Dabei unterstützte ihn später seine Schwester Waltraud Hinnenberg (1929-2020), die nach Pauls Tod den Elephanten weiterführte.
Zunächst hatte er sich im nahen Ausland kundig gemacht, wie dort Diskos ausgestattet und betrieben werden.
Für Münster sollte es etwas Besonderes geben: ein stilvolles Abendlokal mit Musik, Tanz und Kommunikation in feinem Ambiente. Damit sollten insbesondere Menschen mittleren Alters erreicht werden, eben Menschen wie er und seine Schwester. Paul Hinnenberg fand die passenden Räumlichkeiten am Roggenmarkt und eröffnete am 21.11.1969 sein Abendlokal, den Elephanten. - Die Presse berichtete über die Eröffnung im Drei-Giebel-Haus. Der Oberstadtdirektor Heinrich Austerman, Architekt Professor Harald Deilmann und viele Gäste waren gekommen.
Paul Hinnenberg nahm die vielen guten Wünsche entgegen und revanchierte sich mit einem Geschenk für den neuen Allwetterzoo. Dem Elefantenhaus stiftete er großzügig die sanitären Anlagen.
Am Eingang des Abendlokals hatte Paul Hinnenberg seinen angestammten Platz. Dort kassierte er das Eintrittsgeld. Fünf Mark waren fällig, die Paul bei jedem Gast kassierte. Er hatte die Angewohnheit, in den Münzen und Scheinen zu wühlen und zu kramen. Eine Marotte, an die sich Günter Strickstrock erinnert.
Einmal in der Woche kochte Paul Hinnenberg seine Gulaschsuppe. Ein großer Bräter war in der Küche, in dem er rund 50 Portionen zubereitete. Einige Gäste kamen nur wegen der köstlichen Suppe in das Lokal, um sie an Ort und Stelle zu genießen.
Viel Prominenz war Gast im Elefanten. Unter anderem konnten Howard Carpendale, Rudi Carrell, Erik Silvester und Zarah Leander begrüßt werden.
Zarah Leander - sie war nicht zum ersten Mal in Münster - konnte der Einladung von Paul Hinnenberg nur schwerlich widerstehen, denn er hatte ihr einen großen Strauß roter Rosen in die Garderobe der Halle Münsterland bringen lassen.
Dieser Besuch war Anlass, einen speziellen Zarah-Leander-Cocktail zu kreieren, der viele Jahre den Gästen serviert wurde.
Am Eingang des Clubs befand sich die Gästegarderobe. Die Damen, die die Kleidung der Gäste entgegennahmen oder zurückgaben, wechselten sich in diesem Job ab, so wie es ihre Zeit zuließ.
Dr. Martina Wirsig erzählt, wie sie als junge Studentin an der Garderobe stand, um ihr schmales Budget aufzubessern. Iwan Rebroff kam an ihren Tresen und lieferte seinen Pelzmantel ab. Es war ein etliche Kilo schwerer Mantel, den der große, massige Mann trug. Als er sein Kleidungsstück wieder abholte, gab es ein fürstliches Trinkgeld von zehn Mark. Dies war damals für eine arme Studentin sehr viel Geld.
Nach einem Schlaganfall starb Paul Hinnenberg 1985 im Alter von 65 Jahren. Von nun an führte seine Schwester Waltraud das Abendlokal.
Ein Fotoalbum anlässlich des 20-jährigen Jubiläums des Elephanten dokumentiert die Lebensfreude und den Zusammenhalt der Beschäftigten.
Auch die Bilder der Gäste zeigen eine ausgelassene Feierlaune. Es wurden Walzer getanzt, Oldies abgespielt und jede Gelegenheit für fidele Feste - gern kostümiert - wurde genutzt. Die Stammgäste kannten sich, und wie es Paul Hinnenberg wollte, war das Abendlokal auch ein Ort der Kommunikation geworden. Kegelclubs, der Domchor nach der Probe und Belegschaften verschiedener Firmen genossen gern das Flair des Elephanten. Ein besonderer Knüller war das jährliche Treffen der Schausteller. Zwischen Weihnachten und Neujahr ließen sie die Sektkorken knallen - 24 Stunden lang...
Und dies gab es auch: ein Pärchen verlobte sich in einem kleinen Bereich am Eingang. Fortan hatte dieser Teil seinen Namen: die ,Verlobungsecke'.
Waltraud Hinnenberg hörte 1992 aus gesundheitlichen Gründen auf. Sie hatte ihrem Abendlokal eigene Impulse gegeben, so wurde zum Beispiel der Krawattenzwang aufgehoben. Allerdings waren Turnschuhträger auch weiterhin unerwünscht. Man wollte nicht in die übliche Disko-Szene abgleiten.
Das Abendlokal hatte sich zum Treffpunkt nicht nur für ältere, sondern auch für jüngere Generationen entwickelt.
Die Theke mit ihren Barhockern war das Herz, der Mittelpunkt des Lokals. Hier traf man sich zum Gespräch, knüpfte Freundschaften oder Bekanntschaften, und zur Tanzfläche waren es nur wenige Schritte.
Das Konzept von Paul Hinnenberg war voll und ganz aufgegangen.
Aber die Existenz des Elephanten war plötzlich gefährdet. Ein neuer Pächter nach Waltraud Hinnenberg hatte die Idee, das Abendlokal als Spielhalle mit vielen Geldautomaten umzugestalten - und dies im Schatten der Lambertikirche! Zwar war das Gebäude noch im Besitz der Volkswohl Bund Versicherung, aber dies hinderte die Eigentümer der Nachbarhäuser nicht, dagegen - mit politischer Unterstützung - vorzugehen. Mit Erfolg, der Pächter verfolgte seine Pläne nicht weiter.
Unbestrittene Könige der Szene waren die Diskjockeys. Da gab es den legendären Charles van Dyck, der die Plätze in nächster Nähe ausschließlich für ,seine Damen' reservierte. - Es wurde damals durchweg gesiezt. Auch untereinander blieb man bei dieser Höflichkeitsform. Er siezte seine drei Serviererinnen und auch die Aushilfen, deren Chef er war. Van Dycks Nachfolger waren u.a. Werner Ahrens und Costas Mintsis.
Lockerer ging es bei Diskjockey Ulrich Panning zu, wenn er Charles vertrat. Zwischen seinen aufgelegten Platten erzählte er zum Vergnügen der Gäste Witzchen und sprach auch den einen oder anderen Gast persönlich an.
Wenn der Morgen graute, und der Diskjockey ,Gute Nacht Freunde' aufgelegt hatte, wussten die Gäste, dass es Zeit war zu gehen.
Die Disco-Szene unterlag einem rasanten Wechsel. Davon blieb der Elephant Ende der 1990er Jahre nicht verschont. Neben einem umfassenden Umbau des Abendlokals - nur die Verlobungsecke hatte Bestand - besann sich Geschäftsführer Werner Ahrens auf die Zielgruppe, die in einem gepflegten Umfeld ihre Freizeit in unbeschwerter Fröhlichkeit genießen und natürlich tanzen wollten. Und genau dies sollte für Jung und Alt geboten werden.
Es ist das Jahr 2019. Ein Grund, das 50-jährige Jubiläum zu feiern. Aber die Perle des münsterschen Nachtlebens schloss die Tore für immer - leider ohne Jubelfeier.
Die Erwartungen der Gäste hatten sich geändert. Das Elephanten-Konzept entsprach nicht mehr den Wünschen, und so zog die Karawane weiter. Zwar war unter dem langjährigen Chef Gerald Wissel eine völlig neue Geschäftsidee ausgebrütet worden, die aber nicht mehr umgesetzt werden konnte.
Nach einem größeren Umbau befindet sich in dem Gebäude ein Supermarkt. Vom Elephanten ist - bis auf den prächtigen Ausleger - keine Spur mehr zu finden.
Das Lokal war in die Jahre gekommen. Mit Entfernen der zentralen Theke war ihm die Seele entrissen worden. Mit Abriss der Häuser Alter Fischmarkt 8 – 12 war die Passage gekappt; sie war zu einem dunklen Loch verkommen.
Im Sommer 2017 wurde das ehemalige Juwel noch einmal wachgeküsst. In Münster gab es die ,Skuptur 2017'. Zu deren Konzept gehörte es, Orte und Dinge aus dem eher Verborgenen ins Licht zu rücken. Das tat das brasiliansiche Künstlerduo Wagner + de Burca. Sie richteten den Blick und die Aufmerksamkeit der Menschen in das ,dunkle Loch' und auf den deutschen Schlager, der in den Anfangsjahren für den Elephanten bedeutend gewesen war.
Markus Sparfeld singt zusammen mit seiner Frau Stephanie in einer Video-Dauerschleife halb schmunzelnd, halb ehrfurchtsvoll von zwei übrig gebliebenen, inzwischen älteren Damen. In den 116
Ausstellungstagen erklingen Lieder von Helene Fischer und Udo Jürgens. Dabei erscheint
Stephanie ikonenhaft, engelsgleich und madonnenhaft schön überhöht im Bild – gleichsam die personifizierte
Glitzerqueen des Showbusiness. Im Gegensatz dazu interpretiert Markus ein Lied von Udo Jürgens in der Bruchkulisse des Preußenstadions. Ausschnitte sind hier zu sehen. Die Skulptur
2017 zählte mehr als 600 000 in- und ausländische Besucher.
Zum 'Elephant' fallen mir noch zwei Dinge ein:
1974 wohnte die niederländische Fussballnationalmannschaft im Hotel Krautkrämer in Hiltrup. Diese nahm den Slogan ,Und abends in den Elephant' sehr genau. Egal, ob vor dem Spiel oder nach dem Spiel, stets waren Cryuff, Neeskens und Co. als Gäste zu begrüßen.
Dann gab es zur damaligen Zeit noch eine weitere Besonderheit, das war die Tanzpause. Nach 5 bis 7 Musikstücken wurde eine Pause gemacht, um den Getränkeumsatz zu fördern. Von Zeit zu Zeit schickte ich die Gäste mit dem Spruch ,Sitzen, Schwitzen, Umsatz machen, der Chef braucht jede Mark' in diese Pause.
Die Räume waren schon weitestgehend entkernt. Wie jedes Jahr gab es auch Anfang September 2019 die Nacht der Galerien und Museen. Das war für mich das ideale Datum, um zum allerletzten Mal für einen Freundeskreis eine Nacht im ,Rüssel' zu organisieren. Nach dem Sektempfang gab es bei einem Imbiss viele Gespräche unter dem Motto ,Weißt Du noch….?' Ausschnitte aus der Videoinstallation der Skulptur 2017 wurden gezeigt.
Sandra Silbernagel, die als Kulturguide 2017 hunderte von Gästen durch den Gang zum Elephanten geführt hatte, erzählte von der Bedeutung der Location für die ,Skulptur' und deren starken
Wirkung auf die Besucher. In einer Talk Runde berichteten alte Stammgäste so manch kleine Dönekes von früher, bis dann Markus Sparfeld einige Lieder sang. Im Nu war die Tanzfläche gefüllt.
Irgendwann legte der Diskjockey zum allerletzten Mal das Lied von Reinhard Mai auf ,Gute Nacht Freunde, es wird Zeit …..'
Der Elephant hat 50 Jahre das Nachtleben Münsters bereichert. Viele einsame Herzen haben sich hier im Laufe eines halben Jahrhunderts zueinander gefunden oder mögen sich auch getrennt haben.... Die Stunden der Zweisamkeit, des Frohsinns und guter Erinnerungen an diese Zeit klingen bei vielen Gästen auch heute noch nach.
Übrigens: Stammgäste pflegten zu sagen, sie gingen in den ,Rüssel' - nicht in den ,Elephanten'. Und Insider wussten sogar, wie das Eintrittsgeld gespart werden konnte, nämlich über die Damentoilette war ein Zugang möglich.
Dr. Heinz-Joachim Buschmann hatte mich vor angesprochen, ob ich über den Elephanten schreiben möchte. Ich wollte, und zwar gern.
Bei meinen Nachforschungen lernte ich Günter Strickstrock kennen. Seine Mutter war zeitweise Garderobiere im Elephanten und zu den Hinnenbergs bestanden verwandtschaftliche Verbindungen. Aus der Schweiz meldete sich Ulrich Panning, der im Kuhviertel aufwuchs. Als Aushilfs-Diskjockeys hatte er Einblicke in einige Interna des Elephanten. Und Dr. Martina Wirsig - das damalige ,Garderobenfräulein' - half mit ihrem Wissen, diesen Artikel zu schreiben. - Voller Begeisterung erzählten diese Zeitzeugen von ihren Erinnerungen an jene Zeit.
Ich danke für die großartige Unterstützung.
Quellen
Text: Henning Stoffers
Abbildungen: Günter Strickstrock, Dr. Heinz-Joachim Buschmann, WN-Zeitungsausschnitte