das war schon etwas, zu Beginn des 20. Jahrhunderts als Bahnführer, Schaffner und später als Kontrolleur bei der neuen Straßenbahn zu arbeiten. Der Kontrolleur Johann Morfeld erzählt von seinem Berufsleben, das am 1.3.1902 bei der münsterschen Straßenbahn begann. Seine Erinnerungen führen in eine längst vergangene Zeit.
Das Beförderungsmittel, elektrisch auf stählernen Schienen betrieben, war etwas Revolutionäres. Die dampfbetriebene Eisenbahn kam zwar bereits 1848 nach Münster, aber ein Schienennetz innerhalb der Stadt, ausgelegt auf kurze Strecken, das hatte es noch nicht gegeben.
Wie es damals war, lesen Sie in diesem Beitrag.
In Münster gab es vor mehr als hundert Jahren ein Stadtviertel, in dem jedes zweite Haus von einem Straßenbahner bewohnt wurde - hieß es jedenfalls.
Die Bezeichnung Blitzdorf entstand wie folgt:
Ursprünglich sollte am Kanal ein Depot für Straßenbahnen gebaut werden. Straßenbahner siedelten sich im Bereich der Emsstraße an. Alle hatten eine Straßenbahner-Dienstkleidung, an derem Revers sich ein Blitz-Emblem befand. So erklärt sich die Namensgebung.
Vielleicht haben die blauen, knisternden Lichtblitze ebenfalls zur Namensschöpfung beigetragen. Sie entstanden, wenn es gefroren hatte, und die Stromabnehmer der Straßenbahnen und später die der O-Busse an den vereisten Oberleitungen entlangglitten. In der Dunkelheit war es ein gespenstischer Anblick, wenn die Häuserfronten für kurze Momente in bläuliches Licht getaucht wurden.
Am 13.7.1901 wurde Münsters erste Straßenbahn von einer Frankfurter Gesellschaft in Betrieb genommen. Die Entscheidung fiel zugunsten eines Stromantriebes aus. Alternativ wäre auch eine gasbetriebene Straßenbahn möglich gewesen, aber man trug Sorge, dass diese mit Geruchsbelästigungen verbunden sein könnte.
Für Münster war es ein großer Tag, der festlich begangen wurde. Die eingeladenen Honoratioren machten die ersten Fahrt zum Wagendepot und zum Elektrizitätswerk. Anschließend klang das Ereignis mit Kalter Küche und Erdbeerbowle im Schützenhof aus.
Anfänglich waren es lediglich zwei Linien, die durch die Stadt führten. Einige Jahre später übernahm die Stadt Münster den Betrieb der Straßenbahn, und das Schienennetz wurde weiter ausgebaut.
Münster war zu Beginn des 20. Jahrhunderts rasant gewachsen. Der Hafen, ein Elektrizitätswerk und eine Gasanstalt wurden gebaut, die ersten Autos fuhren, und als modernes Verkehrsmittel kam die elektrische Straßenbahn.
Ein Gleispaar führte nunmehr haarscharf am Bürgersteig des Prinzipalmarktes vorbei, und zwar direkt an den Ständen der Marktfrauen. Einige Jahre später kam ein weiteres Gleispaar hinzu.
Für den traditionellen Markt mit seinen Appeltiewen unter den Bögen gab es keinen Platz mehr. Es wurde beschlossen, ab 1901 den Markt auf dem Domplatz abzuhalten, auch um Unfälle durch das neue Verkehrsmittelnzu vermeiden.
Neue Berufe und Arbeitsplätze entstanden, wie zum Beispiel Schaffner, Kontrolleure, Bahnführer, Mechaniker und Ritzenreiniger. Letzterer war für das Reinigen der Schienen und Weichen verantwortlich. Mit einem schmalen Besen wurde Sand, Dreck oder Pferdemist entfernt.
Auf dem nebenstehenden Foto fegt der Ritzenreiniger den Dreck aus den Schienen im Bereich der Weiche. Die Hausfassaden der Häuser im Hintergrund haben noch leere Fensterhöhlen. Der Wiederaufbau steht in frühen Anfängen. Die eindrucksvolle Aufnahme entstand am Drubbel um 1950.
Über Johann Morfeld ist heute wenig bekannt. Nur noch Einträge in einigen Adressbüchern und ein Bericht in den Westfälischen Nachrichten aus dem Jahr 1954 sind zu finden. Er wohnte - wie viele seiner Berufskollegen - in der Blitzdorfer Moselstraße.
Als junger Mann kam Morfeld 1902 zur Straßenbahn und wurde zunächst Bahnführer. Er fuhr lediglich 14 Tage zur Probe, dann nahm der Direktor der Frankfurter Gesellschaft die Prüfung zum Führen einer Straßenbahn ab. Ausgestellt wurde die Fahrerlaubnis von der Straßenbahngesellschaft.
Die Anforderungen an einen Bahnführer waren bei der damaligen geringen Verkehrsdichte nicht hoch. Daher standen die Fahrer auch auf der untersten Rangstufe. Ein Aufstieg zum Schaffner und zum Kontrolleur waren die nächst höheren Posten.
Die Bahnen fuhren anfangs höchstens 12 und ab 1914 etwas mehr, nämlich 15 Stundenkilometer. Das Auf- und Abspringen während der gemütlichen Fahrt war somit leicht möglich, was natürlich von "Schwarzfahrern" gern genutzt wurde.
1905 erfolgte Morfelds Beförderung vom Bahnführer zum Schaffner und 1925 zum Kontrolleur. Die Schaffnerjahre waren seine beste Zeit. Er hatte Kontakt zu seinen Fahrgästen, bei denen er für seine Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft gelobt wurde. Von den Offizieren und reichen Studenten gab es das eine oder andere Trinkgeld.
Am 13.7.1901 nahm die Straßenbahngesellschaft mit der "roten" und der "gelben" Linie ihren Betrieb auf. Die eine führte vom Hafen über die Bahnhofstraße zum Neutor, die andere von Mauritz durch die Innenstadt zum Schützenhof an der Hammer Straße.
Anfangs hatten die Straßenbahnen vorne und hinten offene Plattformen, so dass der Wagenführer Regen und Wind ausgesetzt war. Erst später gab es eine Windschutzscheibe, die jedes Mal an den Endstationen zum anderen Fahrerstand umgewechselt werden musste, berichtete Johann Morfeld.
1909 übernahm die Stadt Münster das Unternehmen vom privaten Betreiber.
Eine dritte Linie, die "blaue' Linie, wurde eingerichtet, im Volksmund auch "Beamtenexpress" genannt. Sie führte vom Kreuzviertel in die Innenstadt. Das Kreuzviertel war bereits damals eine bevorzugte Wohngegend, wohnten hier doch verhältnismäßig viele Beamte und Professoren.
In diesen Jahren konnte das Schienennetz weiter ausgebaut werden. Doppelte Schienenpaare reduzierten die vielen Weichen, die für den Betrieb der Gegenrichtung erforderlich waren. Wenn eine Straße für zwei Schienenpaare zu eng war, wurde auf die Parallelstraße ausgewichen. So führte zum Beispiel ein Schienenpaar durch die Ludgeristraße, während die Gegenrichtung durch die Königstraße genommen wurde.
Schon zu Hagenschneiders Zeiten - er war Münsters Pferdeomnisbus-Unternehmer in den Jahren 1888 bis 1900 - betrug der Fahrpreis 10 Pfennig. Bereits in dieser Zeit war das "Schwarzfahren" nicht unbekannt, berichtete Johann Morfeld. Junge Kürassiere sprangen während der Fahrt hinten auf und warfen ihren Groschen nicht in den dafür vorgesehenen Kasten. Sie ließen sich von den braven "Hottemaxen" bis zum gewünschten Ort transportieren, um dann wieder abzuspringen.
Der Zehnpfennig-Preis konnte viele Jahre auch für die Benutzung der Straßenbahn gehalten werden. Während der Inflationsjahre erreichte der Fahrpreis die schwindelnde Höhe von 5 Mark. Danach kostete eine Fahrt 15 Pfennig.
Nach 43 Dienstjahren endete 1945 Morfelds Tätigkeit. Es war für ihn eine gute Zeit bei der Straßenbahn, an die er gern zurückdenkt. 1954 sagte er in einem Interview, dass Münster mit der Abschaffung der Straßenbahn um ein Charakteristikum ärmer werden würde: "Als schienengebundene Fahrzeuge behindern Straßenbahnen den Verkehr." Dennoch hinge sein Herz am traditionellen Verkehrsmittel.
In den 1950er Jahre ersetzte der O-Buss (Oberleitungsbus) die Straßenbahn. Allerdings endete dessen Zeit nach nur rund 20 Jahren. Heute verkehren auf Münsters Straßen Busse, die einen Diesel- oder einen Elektromotor haben.
Mit Hagemanns privatem Pferdeomnibus wurde vor rund 135 Jahren der Grundstein für Münsters Nahverkehr gelegt. Die Ära der Straßenbahn dauerte rund 50 Jahre. In diese Zeit fielen zwei Weltkriege, eine Inflation und die Zerstörung der Stadt. Zur Erinnerung an dieses Verkehrsmittel ist im Stadthaus 3 eine liebevoll restaurierte Straßenbahn ausgestellt. Sie fuhr bis ins Jahr 1954 auf Münsters Schienen.
Quellen
Abbildungen: Stadtwerke Münster, sofern nicht anders angegeben
Verwendeter Zeitungsartikel: WN 1954 - Gespräch mit einem alten Kontrolleur
Text: Henning Stoffers